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Welche Lehren ich aus den Versorgungsengpässen aus logistischer Sicht gezogen habe
Geschrieben von:  Reinhard Herges | | Geschätzte Lesezeit 7 Minuten

Welche Lehren ich aus den Versor­gungs­eng­pässen aus logistischer Sicht gezogen habe

Seit über zwei Jahren hält uns die COVID-19 Pandemie in Atem und jetzt erleben wir fassungslos einen unsäglichen Krieg mitten in Europa.

Wir erfahren, welche enormen Auswirkungen Unwägbarkeiten wie Pandemien, Handels- oder Zollkonflikte, Naturkatastrophen oder einfach nur Verkehrsunterbrechungen auf unsere globalen Warenströme in einer komplexen, digital-vernetzten und hoch-integrierten Welt haben. Das Containerschiff Evergreen, das im Frühjahr 2021 im Suezkanal auf Grund gelaufen war, wurde schnell zum Symbolbild für die Störungsanfälligkeit internationaler Lieferketten sowie der Abhängigkeit von ausländischen Vorprodukten.

Die globalen Lieferketten sind unter Druck geraten.

In der Materialwirtschaft herrscht vielfach Chaos. Nichts ist mehr planbar. Jahrzehnte als richtig angenommene Regeln zum Bestandsmanagement gelten offensichtlich nicht mehr: Es wird beschafft, so viel es geht. Das einzige Kriterium ist die Versorgungssicherheit, also die Verfügbarkeit der 3M (Mensch, Maschine, Material). Kosten haben häufig nur eine zweite Priorität.

Wo liegen die Ursachen? Der Mensch verhält sich tendenziell so, als ob es Extremereignisse wie oben beschrieben nicht geben würde. Sie spielen bei Entscheidungen keine Rolle. So wurden funktionierende Lieferketten im globalen Handel und in der globalen Wirtschaft bisher als „von Gott gegeben“ vorausgesetzt. Transport, Umschlag und Lager waren so selbstverständlich, dass die logistischen Kosten nur als notwendiges Übel wahrgenommen wurden. Zahlreiche Lkw‘s auf der Straße waren für viele in der heilen Konsumentenwelt nur nerviges Beiwerk.

Demnach ist es nicht verwunderlich, dass jetzt, wo bereits einzeln als sehr kritisch anzusehende Ereignisse nahezu zeitgleich auftreten, viele Unternehmen mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben; manche geraten sogar in eine existenzbedrohende Lage.

Wenn die Corona-Pandemie und der unsägliche Krieg in der Ukraine überhaupt irgendeinen positiven Effekt haben sollten, dann sind es folgende Lehren, die ich daraus ziehe:

1. Lehre: Logistik & Service sind keine anderen Worte für gratis.

Spätestens jetzt müsste jedem klar sein, dass die schier unendliche Verfügbarkeit an Waren, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Energie sowie logistischen Dienstleistungen nicht selbstverständlich sind.

All dies stellt Entscheider in Einkauf/ Materialwirtschaft sowie in der Logistik/Supply Chain vor große Herausforderungen. Dazu kommen noch die schier unendlichen Möglichkeiten in der Digitalisierung. Jedoch gilt: Kein noch so digitalisiertes Unternehmen wird funktionieren, wenn die „analoge“ (logistische) Ver- und Entsorgung der Produktion nicht 100%ig sichergestellt wird.

2. Lehre: Supply-Chain-Management ist auch Risikomanagement

Diese Entwicklung ist unumkehrbar. Angesichts massiver Lieferschwierigkeiten, Produktionsengpässen und eklatanten Materialmangels müssen wir unsere Lieferketten überdenken und traditionelle Sichtweisen konsequent hinterfragen.

Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen konkrete Handlungsempfehlungen, neue Denkanstöße/ Impulse zur Steigerung Ihrer Supply-Chain-Resilienz mitgeben.

In Anlehnung an Wanja Wellbrock „Ganzheitliches Risikomanagement in der Lieferkette – Strategisches Potenzial des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes“ lassen sich die Risiken im Beschaffungsmanagement wie folgt systematisieren:

  1. Kapazitätsrisiken (z.B. Verfügbarkeit an Material)
  2. Technologie-/Technikrisiken (z.B. Prozesskompetenz beim Lieferanten)
  3. Qualitäts-/ Servicerisiko (z.B. Spezifikationsrisiko im eigenen Unternehmen)
  4. Finanzrisiken (z.B. Marktpreise)
  5. Standortrisiken (z.B. Offshoringrisiken)
  6. Managementrisiken (z.B. Risikomanagement des Lieferanten)
  7. Vertragsrisiken (z.B. Verletzung geistiger Eigentumsrechte)
  8. Risiken höherer Gewalt/Umweltrisiken (z.B. Wetter- oder Gesundheitsrisiken).

Bei der Bewertung der Risiken sind auch ihre gegenseitigen Wechselbeziehungen zu berücksichtigen (Dominoeffekte). Exemplarisch sind hier Prozessstabilitätsrisiken bei den Lieferanten, Rohstoffmengenrisiken, Standortrisiken durch Lockdownregeln und Managementrisiken auf allen Ebenen der Lieferketten zu nennen.

Selbst ein umfangreiches Risikomanagement ist keine Garantie dafür, dass Probleme nicht auftreten. Durch das rechtzeitige Erkennen und realistische Einschätzen von Risiken und die daran geknüpfte Erstellung eines Maßnahmenplans minimiert man jedoch die negativen Folgen von Risiken, und man ist bei einer Störung der Supply Chain optimal, zumindest besser darauf vorbereitet als heute. Exakt dies klassifiziert die Unternehmen, die aus den aktuellen Zeiten der Versorgungsengpässe als Gewinner hervorgehen werden.

Risikomanagement ist also ein fortlaufender Prozess, der stets zu hinterfragen und an die wechselnden Bedingungen der Beschaffungsmärkte, der Politik und des Unternehmens anzupassen ist.

3. Lehre: Resilienz stärken

Bereits vor der Krise haben weitsichtigere Unternehmen ihre Resilienz vor Unwägbarkeiten abgesichert:

  • durch eine stärkere Bevorratung mit Materialien
  • über eine global ausgerichtete, risikomindernde Mehrlieferantenstrategie
  • mittels regionaler Beschaffung und enger Lieferantenbeziehungen, die die Versorgung auch in schwierigen Zeiten sicherstellt.

Diese Unternehmen haben bewusst nicht einseitig die Kosteneffizienz (JIT/JIS) maximiert, sondern den Faktor Risiko und damit die Resilienz in ihre Entscheidungen einbezogen.

Leider gilt dies nicht überall. Insbesondere die Automobilindustrie hat Beschaffungsrisiken, Prozessrisiken und Qualitätsrisiken nahezu vollständig und einseitig ihren Lieferanten aufgebürdet. Die Folgen sind bekannt.

Die jüngsten Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen gut beraten sind, enger mit ihren Lieferanten zu kooperieren und über Wertschöpfungsstufen hinweg zu kommunizieren, sie als gleichwertigen Partner auf Augenhöhe zu betrachten und sich als Ganzes in für die Zukunft wettbewerbsfähige Strukturen zu transformieren.

Mehr Resilienz ist angesichts verstärkt zu erwartender, massiver Unwägbarkeiten in Politik und in Lieferketten eine Überlebensfrage.

4. Lehre: Alles, was stört, muss weg (Cut the Crap)

Wir haben erkannt, dass uns das ständige Streben nach Effizienz in brutale Abhängigkeiten bugsiert hat. „Effizienz tötet Kreativität“ hat der Philosoph Richard David Precht einmal gesagt. Wir brauchen aber dringend wieder kreativere Lösungen in Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik. 

Doch was heißt das alles für die konkrete betriebliche Praxis?

Wir müssen unser bisheriges Denken und unsere bisherigen Verhaltensmuster ersatzlos streichen!

Üblicherweise wird Veränderung zum Guten (KAIZEN) mit „dem Alten etwas Neues hinzufügen“ interpretiert: zusätzliche Programme, zusätzliche Produkte, zusätzliche Prozesse, zusätzliche Gesetze, … 

Aber der Hang zum Hinzufügen beschert uns keineswegs bessere Lösungen, sondern noch mehr Dokumentationen, noch mehr Controlling, noch mehr Bürokratie, noch mehr Gesetze, mehr Regeln und Verfahrensanweisungen, mehr Ausnahmen, noch mehr Komplexität, mehr Intransparenz, noch längere Durchlaufzeiten und noch instabilere Prozesse.   

Warum sagen wir nicht einfach mal: „Alles was stört muss weg!

Denn: Wer Potenziale freisetzen, den Durchsatz steigern und als Voraussetzung dazu die Verfügbarkeit sichern möchte, der braucht auch den Raum dafür... und: Der ideale logistische Raum ist leer (na ja, fast leer)!

Also schaffen wir zunächst mal alles ab, was wir nicht brauchen, was keinen Nutzen (Mehrwert) bringt. Hierzu bietet sich z.B. die 5S-Methode an. Oder sie installieren ein Cut-the-Crap-Komitee. Sowohl Entscheider als auch Mitarbeiter treffen sich in regelmäßigen Stand-Up´s zu einem einzigen Zweck:  Etwas Überflüssiges zu finden, das sie streichen können:

  • Muda/ Verschwendung (z.B. überflüssige / falsche Bestände, nicht abgestimmte Kapazitäten, unzweckmäßige Regale/ Lagermittel, etc.)
  • Muri/ Überlastung (z.B. kapazitive, dispositive oder personelle Engpässe)
  • Mura/Abweichungen vom Standard (z.B. jedweden Fehler)
  • und noch ein M: miese Arbeit!
    • Also alles, was Zeit raubt, Energie verschwendet, Lust tötet und Frust erzeugt.
    • Unnötige Genehmigungsverfahren im Bestellprozess
    • Umständliche Prozesse
    • Überflüssige Meetings
    • Unnötige Berichte

In einem aktuellen Projekt gehen wir genauso vor: alle Prozesse, Strukturen, Bestände, Regeln, etc. wurden und werden permanent hinterfragt: notwendig ja/nein, wertschöpfend ja/nein … und es wird konsequent gestrichen, was nicht notwendig und nicht wertschöpfend ist.

Wem das alles zu viel ist… oder wer glaubt, dazu keine Zeit zu haben, dem antworte ich zum guten Schluss mit einem Zitat des ehemaligen Fußballprofis Marc von Bommel: „Wer oben mitspielen will, für den darf es keine Alibis geben."

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Titelbild: falco

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