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Wie ich professioneller Claim-Manager wurde
| | Geschätzte Lesezeit 6 Minuten

Wie ich professioneller Claim-Manager wurde

Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte aus meinen jungen Jahren als Projekteinkäufer für Anlagenbauprojekte: 
Eine satte Claimstory, vom Lieferanten verharmlosend als „kleine Deltakosten-Abstimmung“ angekündigt, lag da jetzt auf dem Tisch. Das Dokument “Mehraufwand aus Projektverzug und Behinderungen“ hatte das Format eines ausgewachsenen Ordners. Nur zögerlich blätterten wir vom Einkauf und die Projektleitung vorwärts zur tabellarischen Mehrpreiszusammenstellung. Das Bestellpaket hatte ursprünglich einen Budgetrahmen von 11 Mio und war für 10 Mio vergeben worden. Einige Nachträge, die mittlerweile erfolgt waren, hatten die Projektreserve bereits aufgezehrt. Nun aber standen hier, ganz unten, doppelt unterstrichen 27 Mio.!!! Akribisch aufbereitet reihten sich die Kapitel der Einzelforderungen mit detaillierten Kostenargumenten aneinander. Abgerundet wurde die Storyline mit Begründungen zum Anstieg der Gemeinkosten.

Wir klappten sprachlos den Deckel zu und schickten den Lieferanten heim. Vermutlich hatte dieser die Eskalation einkalkuliert, um sein Projektergebnis zu optimieren. Bei der aktuellen Auftragslage würde es auf lange Sicht eh keine gemeinsamen Projekte mehr geben.

Sie sagen: „Leute, wie kann das passieren?“ Ich sage: „Das ist das wahre Leben bei Großprojekten.“ Und wer den Artikel bis zum Ende liest, der wird sehen, wie man mit Claims professionell umgeht.

Wie Claims entstehen

Lieferantenclaims sind unterschiedlich motiviert. Das Spektrum reicht vom Anlagenbauer, der sich im Angebot verkalkuliert hat und nun versucht über Wasser zu bleiben, bis zu demjenigen, der Claims bewusst zum Teil seiner Geschäftsstrategie erhoben hat. Bereits vor Unterschrift eines knapp kalkulierten Auftrags hat dieser die Lücken im Dokument analysiert, die später seine Auftragsabwicklung profitabel machen werden.

Kein Vertrag ist so gut und so umfassend, dass er alle zukünftigen Einflüsse vorhersehen könnte. Daher erzeugen komplexe Projekte fast zwangsläufig Claims. Ursachen sind Planungsfehler, mangelnde Detailtiefe oder Änderungswünsche des Kunden und sonstige Zusatzaufwendungen, die die Bestellung nicht vorsah. Besonders bei massiven Störungen im Projektablauf entsteht erheblicher Dokumentations- Analyse- und Verhandlungsbedarf. Beispiele sind die Insolvenz eines Lieferanten, der massive Mangel in der Erstellung eines Vorläufergewerkes oder ein erheblicher Terminverzug. Dabei sind dann nach dem Domino Prinzip meist gleich mehrere nachfolgende Gewerke betroffen.

Claimprüfung: strukturiertes Vorgehen mit zwei Leitfragen

Es geht beim Claimmanagement letzten Endes darum, Zusatzaufwendungen aus Vertragsabweichungen sach- und verursachergerecht zuzuordnen. Der Einkauf – zumeist der Projekteinkauf – ist ein wesentliches Glied in der Prozesskette. Ihm fällt die Aufgabe zu, die positiven und negativen Vertrags- bzw. Bestellabweichungen als Mehr- und Minderkosten zu verhandeln und vertraglich einzuordnen. Der Einkauf hat hierzu einen Nachtragsprozess zu etablieren, um die Meldung und Dokumentation von Vertragsabweichungen zwischen den Partnern zu regeln die weitere strukturierte Abarbeitung einzuleiten. Die dabei entscheidenden Fragen sind:

1. Was ist die Anspruchsgrundlage?

Hierzu ist eine tiefgehende Kenntnis der Vertragsbedingungen (Bestellumfang, Liefer- und Montagekonditionen, Termine, Haftungsverhältnisse etc.) erforderlich. Zu klären ist zunächst, wer Verursacher ist und was der Vertrag zur Kostenverantwortung des Bestellers sagt. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob nicht der Lieferant selbst eine Teilverantwortung für die entstandenen Mehrleistungen trägt.

2. Was ist die Anspruchshöhe?

Sofern dem Lieferanten eine Vergütung zusteht, kann sich die Ermittlung der Anspruchshöhe sehr unterschiedlich gestalten. Bei LV basierten Bestellungen ist es zunächst eine arithmetische Übung, solange nicht die allgemeinen Kalkulationsgrundlagen grundsätzlich infrage gestellt werden. Bei den im Anlagenbau üblichen funktionalen Ausschreibungen hingegen, ist die preisliche Bewertung von Mehrungen und Minderungen für den Einkäufer äußerst schwierig. Hilfreich sind hier detaillierte Preisgliederungen zum Hauptauftrag, eigene Erfahrungswerte, Plausibilitätsansätze oder die Parallelanfrage von Teilleistungen des Zusatzpaketes.

Das strukturierte Vorgehen bei größeren Störungen im Projektablauf bedeutet auch die Erstellung einer umfassenden Claimliste. Erst der stichtagsbezogene Überblick über die Claims des Lieferanten, die eigenen Gegenclaims, wie auch die Claims und Behinderungsmeldungen gegen den Lieferanten von Seiten Dritter, machen eine umfassende und abschließende Claimverhandlung bis zum Stichtag möglich.

Erfolgreiche Strategien für die Claimverhandlung

Komplexe Projekte erfordern einen Claimprozess

Dieser beginnt mit der vertraglichen Verpflichtung des Lieferanten zur frühzeitigen Benennung, Bepreisung und Genehmigung von abweichenden LuL-Umfängen nach dem Motto „Keine Benennung, keine Aussicht auf Geld!“. Der Prozess regelt die Verantwortlichkeiten und Abläufe für Dokumentation und Verhandlung. Er bezieht die Projektbeteiligten des Bestellers vor Ort mit ein und endet mit einer Überarbeitung der Bestellung.

Vertragskenntnis und Dokumentationspflicht vor Ort sind ein Muss

Diskussionsschwerpunkt in Claimverhandlungen sind immer wieder die zeitliche und die fachliche Abarbeitung des LuL. Eine umfassende Dokumentation z. B.: die regelmäßige Fotodokumentation von Qualität und Arbeitsfortschritt wird viele Meinungsverschiedenheiten schnell klären. Wichtig hierbei ist die Vertragskenntnis der vor Ort Mannschaft, da besonders die Abweichungen vom Vertrag der verstärkten Aufmerksamkeit bedürfen.

Intensive Vorbereitung der Claimverhandlung ist gut investierte Zeit

Claimabwehr ist Teil des Risikomanagements im Projekt und beginnt mit dem Vertrag und der Abwicklungsdokumentation. Für die Vorbereitung der Claimverhandlung muss der komplette Überblick der Vertragsabweichungen zusammengetragen und transparent gemacht werden. Ebenso die Auswirkungen auf Nachbargewerke und zukünftige Abläufe. Bei einer vertraglichen Abweichung lässt sich erst über Entstehungsgeschichte, Auswirkungen und Folgewirkungen eine angemessene preisliche Bewertung finden. Nur so lassen sich überhastete Nachbeauftragungen vermeiden, die bereits den Keim des Folgeclaims in sich tragen.

Früh übt sich

Die Erarbeitung und Anwendung dieser und weiterer Strategien waren die Konsequenz des eingangs beschriebenen Claim-Desasters, das ich damals als Neuling im Projekteinkauf zu managen hatte. Wir haben Lehrgeld bezahlt. Trotz viel Detailarbeit, Historienrecherche und Zusatzaufwand war nur noch ein mäßiges Abschlussergebnis zu erzielen. In meinem weiteren beruflichen Verlauf aber sind Claimverhandlungen zum Schwerpunkt meiner Projekteinkäufertätigkeit geworden. Und wenn einer wieder eine „kleine Besprechung“ wegen Kostenverschiebungen ansetzt, dann bin ich inzwischen mit Vorgehen, Tools und Erfahrung gewappnet.

Bei Interesse an claimrelevanten Fragestellungen oder gegebener Handlungsnotwendigkeit kommen Sie auf mich zu unter kettlernothing@durchdenkenvorne.de

Hermann Josef Kettler

war langjähriger Projekteinkäufer bei RWE und hat seine Erfahrungen in vielen Kraftwerksanlagenbauprojekten gesammelt. Er ist jetzt im Beraterteam von Durch Denken Vorne Consult und vermittelt sein Know-how im Training Training „Projekteinkauf im Anlagenbau“.

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