Technik und Einkauf sind Team-Mates
Wenn Kunden individuelle Ideen und Visionen haben, stehen Qualität, Lebensdauer und Nachhaltigkeit im Fokus. Um diese Mélange weiter auszuformulieren, ist die Zusammenarbeit zwischen Technik, Einkauf und Lieferpartnern auf Augenhöhe auf sehr hohem Niveau essenziell.
Ein Entwickler sucht im Internet nach einer Lösung für ein bestimmtes Problem. Über ein Produktvideo eines für sein Unternehmen neuen Zulieferers wird er fündig und tritt mit diesem in Kontakt. Es folgt bald der Aufruf an den Einkauf, die Komponente dort mal anzufragen und im System anzulegen. Für den Entwickler ist der Fall damit zu seiner Zufriedenheit erledigt. Der Einkauf war allerdings die letzten Monate damit beschäftigt, seine Lieferantenanzahl zu reduzieren, und hat sich bereits mit einem Wettbewerber des von der Entwicklung favorisierten Unternehmens geeinigt, neue Lösungen gemeinsam zu entwickeln. An diesem Beispiel wird deutlich, dass beide Experten in unterschiedliche Richtungen rudern. Da sie jedoch im selben Boot sitzen, können sie nur dann erfolgreich geradeaus fahren, wenn sie in dieselbe Richtung rudern. Besonders wichtig ist also, dass sowohl das Rollenverständnis geklärt ist als auch klare Spielregeln her müssen. Eine gute Möglichkeit bietet hierbei die Zusammenarbeit im Tandem, zum Beispiel durch die Schaffung von Technik-Einkauf-Teams (TET), wobei auch keine Neuentwicklung mehr ohne den Einkauf stattfindet.
Die Balance finden
In praktisch allen Branchen jonglieren Entwicklungsabteilungen zwischen steigender Variantenvielfalt und kundenspezifischen Lösungen auf der einen und kürzeren Entwicklungszyklen sowie Standardisierungsdruck auf der anderen Seite. Der voranschreitende Einzug digitalisierter Anwendungen in zuvor analoge Produkte erhöht zudem die Geschwindigkeit auch in traditionellen Industrien wie dem Maschinen- und Anlagenbau. Eine besondere Herausforderung hierbei ist der Kostendruck, denn der relative Anteil der Entwicklungskosten korreliert mit der Lebensdauer eines Produktes. Er verringert sich zwar, je länger ein Produkt am Markt ist. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass er bei verkürzten Produktlebenszyklen steigt. Die Entwicklung steht daher vor der Herausforderung, die Kosten für neue Produktgenerationen immer weiter senken zu müssen. Und dadurch, dass die Kostenfestlegung in der frühen Entwicklungsphase stattfindet, liegen auch genau hier die Einflussmöglichkeiten. Richtig teuer kann es werden, wenn technische Änderungen im Nachhinein hinzukommen. Will ein Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig sein, muss es für sich Antworten darauf finden, wie es diesen oppositiven Zielen gerecht werden kann.
Wer hat’s erfunden?
Wer da an die Schweizer denkt, der liegt richtig. Beim Global Innovation Index 2019 lagen die Eidgenossen auf Platz 1. Und aus eigenen Projekterfahrungen bei Wertanalysen oder Produktkostenoptimierungen können wir sagen, dass die Schweizer sehr fix sind im Aufnehmen von externen Ideen von Lieferanten. «Das hat auch damit zu tun, dass wir uns von Hierarchie- hin zu Netzwerkdenkern entwickeln und dafür braucht man als Unternehmen nicht erst ein Accelerator- Programm» innerhalb der Firma − so letztens einer unserer Kunden. Offene Innovation ist also auch nur eine erlernbare Methode, die Erfolg bringt, wenn sie − systematisch angewendet − fester Bestandteil der Unternehmenskultur wird. Wenn 60 Prozent der Wertschöpfung außerhalb des eigenen Unternehmens liegen, dann liegt wahrscheinlich ebenso viel Innovation draußen. Wer mehr wissen will, muss also auch systematisch mehr Wissen an sich heranlassen.
Nachfolgend vier pragmatische Punkte, die dazu beitragen, dass offene Innovation auch bei Ihnen zum Erfolg wird:
1. Bereitschaft zur Aufnahme von Ideen
Als Erstes bedarf es der Bereitschaft, auch Externen Gehör zu schenken. Das ist nicht für jeden Entwickler einfach, insbesondere wenn er eigenbrötlerische Allüren hat. Eigene Projekte haben gezeigt, dass insbesondere junge Ingenieure unverkrampfter damit umgehen, ihre Probleme zu skizzieren und Vorschläge aufzugreifen. Aber auch der Einkauf kann nicht nur mit Taschenrechner weitermachen. Seine Hauptaufgabe ist, neue Technologien, Werkstoffe und Fertigungsmethoden ausfindig zu machen. Im Klartext heißt das, beim Lieferanten auch dort hinzuschauen, wo nicht die eigenen Produkte stehen. Aber auch, auf Technologieforen neue Ansätze zu finden. Das klappt übrigens besser, wenn das gemeinsam mit dem Kollegen aus der Technik gemacht wird.
2. Nur wer versteht, kann Vorschläge machen
«Lieferpartner für dumm zu halten, ist dumm.» So können von deren Seite auch keine Vorschläge eingebracht werden, wie etwas innovativ gestaltet werden kann. Dabei ist essenziell, dem Partner zu erklären, welchen Zweck seine Komponenten in der Baugruppe oder dem Produkt haben. Und wenn Sie dann noch ein herstellerneutrales Lastenheft daraus machen, können Sie auch Ideen weiterer Partner anzapfen und so den Radius erweitern. Hierbei noch ein kleiner Tipp: Fragen Sie den Lieferanten nicht nur, ob er alternative Lösungen hat, sondern auch in der F&E-Abteilung nach, was gegebenenfalls dort schon in der Pipeline ist.
3. Wer feilscht, bekommt selten Innovation
Er wird also nicht derjenige sein, dem ein Lieferant seine neuesten Erfindungen mitteilt. Und selbst wenn Sie anständig sind und immer gute Partnerschaft pflegen, ist es immer noch ein Sprung, dass Ihnen auch von technischen Neuerungen berichtet wird. Die bloße Einbestellung zum Rapport setzt keine Innovation in Gang. Ein Paradigmenwechsel im Umgang miteinander ist meiner Meinung nach der Nucleus, der Zeit im respektvollen Umgang miteinander benötigt. Begegnen Sie Lieferanten auf Augenhöhe. Das kann zum Beispiel auch im Zuge einer Kostenanalyse erfolgen, wenn die vom Einkauf erstellte Kalkulation vom Lieferanten nicht auf Biegen und Brechen erreicht werden muss. Vielmehr sollte die Kalkulation als gemeinsamer Einstiegspunkt in eine qualifizierte Diskussion dienen, warum das eine oder andere auf einem höheren Niveau liegt als gedacht.
4. Sorgen Sie für strukturierte Berührungspunkte
Offene Innovation kann nur stattfinden, wenn sich Lieferant und Entwicklung treffen und der Funke überspringt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass hierbei kleine Technologietage zum Erfolgsfaktor werden können. «Technology-Speed- Dating» und einfache Spielregeln im Umgang von Einkauf, Entwicklung und Lieferant sind hier die Stichworte.
Bevor Sie zur Tat schreiten, stimmen Sie sich im Vorfeld unbedingt mit Ihren Kollegen aus der Technik und der Geschäftsführung ab, damit diese eingebunden sind und dabei mitmachen.
Erschienen im:
PROCURE SWISS MAGAZIN, 02-2021