Warengruppen - We call it a Klassiker
Acht Denkanstöße für erfolgreiches Warengruppenmanagement
„Warengruppenmanagement? - Machen wir schon lange“. Das würden vielleicht einige von Ihnen sagen und das Weiterlesen des Artikels hier abbrechen.
Dennoch taucht dieses Thema immer wieder auf Einkaufskongressen auf oder wird zahlreich als Seminar gebucht. Franz Beckenbauer würde dazu einfach nur sagen: „We call it a Klassiker“. Dies hat er im Vorfeld des Länderspiels Deutschland – England gesagt, denn diese Begegnung hat über Jahrzehnte immer seinen Reiz aufs Neue gehabt (z.B. 1966, 1990, 2002, 2010)
Der Begriff „Klassiker“ eignet sich auch für das Warengruppenmanagement in Unternehmen. Es ist für den Einkauf ein sehr mächtiges Instrument. Häufig wurde es vor Jahren im Unternehmen eingeführt und dümpelt jetzt vor sich hin. Nachfolgend wollen wir einige Denkanstöße geben, warum Sie dieses Werkzeug wieder auf die Tagesordnung holen sollten:
1. Veraltete Strategie
Die für die Warengruppe hinterlegte Strategie ist schon mehrere Jahre alt, ebenso der letzte Preisvergleich. Die Welt hat sich aber seitdem weitergedreht: Neue Lieferanten sind auf den Markt gekommen (insb. aus den Schwellenländern), andere haben technologisch aufgeholt und sind jetzt Innovationsführer, Machtverhältnisse zwischen Angebot und Nachfrage haben sich verschoben. Grund genug, die Strategie neu zu bestimmen.
2. Neue Einsparpotenziale
Eingeführt wurde das Warengruppenmanagement, um systematisch Einsparpotenziale zu identifizieren. Die Maßnahmen, die damals daraus abgeleitet wurden, sind weitestgehend umgesetzt. Aber woher kommen die Einsparpotenziale für 2012ff, die von der Geschäftsführung gefordert werden. Anhand der wichtigsten Stellhebel „Lieferant“, „Spezifikation“, „Konditionen“ und „Prozess“ ist die Warengruppe erneut zu beleuchten (siehe auch Grafik). Gerade im Hinblick auf die technischen Ansätze wie Standardisierung, Entfeinerung der Spezifikation, Wertanalyse gibt es häufig noch Potenzial. Einige Unternehmen lassen sich bei der Potenzialidentifizierung extern begleiten, damit neue Denkanstöße generiert und erfolgreiche Maßnahmen aus anderen Unternehmen aufgezeigt werden.
3. Unberücksichtigte Volumina
Nicht selten wurde das Warengruppenmanagement anfangs für die wichtigsten Produktionsmaterialien eingeführt. Aber Warengruppen in der zweiten Reihe oder Einkaufsvolumina, für die der Einkauf indirekt oder gar nicht verantwortlich war, wurden nicht berücksichtigt (z.B. IT, Marketing, Gebäudemanagement). Hier ist sind häufig noch Ansatzpunkte für Bündelung, Konditionenharmonisierung etc.
4. Neue Tochtergesellschaften
Unternehmen verändern sich. Unternehmensteile werden verkauft, neue Gesellschaften akquiriert. Dies sollte auch Einfluss auf das Warengruppenmanagement haben und überprüft werden, wo nun das tiefste Know-how bzw. größte Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Materialfeld liegt. Durch die verstärkte Einbindung der neuen Gesellschaften mit entsprechenden Warengruppenmanagern wird auch die Integration der neuen Gesellschaften erhöht.
5. Fehlende Datentransparenz
Stand beim ersten Lauf des Warengruppenmanagements häufig noch die qualitative Strategie im Fokus und wurden die Daten per Excel zusammengetragen, so gibt es heutzutage webbasierte Tools, die die notwendige Transparenz erzeugen. Der direkte Datenzugriff auf die Einkaufsvolumina, den aktuellen Stand der Maßnahmen sowie die im ERP gemessenen Einsparungen erhöhen das Vertrauen in das Warengruppenmanagement und ermöglichen ein schnelleres Reagieren.
6. Mangelndes Risikomanagement
Im Zuge der Lehman-Krise 2008/2009, Fukushima diesen Jahres und der aktuell erneuten Gewitterwolken am Finanzhimmel hat das Thema Risikomanagement erneut an Bedeutung gewonnen. Bei vielen Warengruppenmanagement-Systemen ist dieses noch unzureichend berücksichtigt. So sind warengruppenspezifisch die verschiedenen Risiken hinsichtlich des Schadenmaßes und der Eintrittswahrscheinlichkeit zu bewerten und Präventivmaßnahmen einzuleiten, bevor z.B. eine Lieferanteninsolvenz das eigene Unternehmen lahmlegt.
7. Unpassender Warengruppenschlüssel
Sind verschiedene Warengruppenstrategien oder Maßnahmen nicht zum Tragen gekommen, so kann es daran liegen, dass der Warengruppenschlüssel nicht optimal festgelegt war. Warengruppen waren zu breit bzw. zu fein geschnitten, so dass das erarbeitete Vorgehen zu allgemein war bzw. es zu viele Kleinstmaßnahmen gab, bei denen man den Überblick verloren hat. Die Änderung des Warengruppenschlüssels kann weitreichende Implikationen haben und sollte von daher im Vorfeld wohl überlegt sein.
8. Suboptimale Organisation
Einige Unternehmen haben das Warengruppenmanagement in Form einer Lead Buyer Organisation gestartet, in der die Einkaufsverantwortlichen in der Doppelfunktion (Standort-Einkaufsleiter und Warengruppenmanager) agierten. Erfahrungen bei Unternehmen wie z.B. GEA oder Oystar haben gezeigt, dass diese Matrix-Organisation jedoch aus Zeitressourcen-Gründen nicht die Durchschlagskraft hat. Es setzt sich mehr und mehr der Warengruppenmanager als Full-Time-Job durch. Auch beginnen einige Unternehmen diese häufig rein deutsche Organisation durch qualifizierte Mitarbeiter aus den Schwellenländern aufzubrechen (z.B. Guss/Indien, Elektronik/China, Zeichnungsteile/Polen etc.). Webbasierte Tools, regelmäßige Videokonferenzen und Englisch als Unternehmenssprache unterstützen dieses.
Wahrscheinlich treffen nicht alle 8 Punkte auf Sie zu. Vielleicht aber finden Sie sich in dem einen oder anderen Punkt wieder, so dass Sie jetzt zu sich sagen „Warengruppenmanagement? – Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“.
Veröffentlicht in:
All about Sourcing, 2011/10